
Bowling for Columbine reloaded
Michael Moore, Marilyn Manson & die ewige Angst
Das grausamste bleibt die Routine. Der (aktuelle) Amoklauf an einer High-School in Florida wirft dieselben dringlichen, unbeantworteten Fragen auf, die immer gestellt werden, wenn “es passiert”. 19 Jahre nach Columbine haben Michael Moore’s Beobachtungen nichts an haarsträubender Aktualität verloren.
Was Marilyn sagte
Als ich zum ersten Mal Bowling for Columbine sah, muss ich so um die 18 gewesen sein – selbst noch in der Schule, ungefähr 3 Jahre nach dem Schulmassaker, das die ganze Welt bewegte und kurz vor dem Amoklauf am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt. Schock, Trauer, Wut. Dann die Debatten, dort wie hierzulande: wie kann das nur, wer ist verantwortlich zu machen, wenn Kinder andere Kinder, Schüler ihre Mitschüler umbringen? Computerspiele, Filme und “die Medien” … Oder war Marilyn Manson gar alleine an allem schuld? Der gesellschaftliche Sündenbockalgorithmus generierte möglichst viele Theorien für die praktische Umfahrung augenscheinlicher Verantwortung. Und davon konnten und können selbst ernannte Moralwächter mit Waffenvorliebe am meisten profitieren. Echte Antworten will offenbar keiner, zumal die Debatte immer um, aber selten mit den Betroffenen geführt wird – besser und schöner sagte das (D)Evil Manson:
“From my cold dead hands”
Gerade in den USA, wo die NRA groß ist und die “Freiheit”, Knarren zu tragen, groß geschrieben wird, scheint jede Waffe für den Kampf um Waffenbesitz recht zu sein. Es ist interessant, sprich fürchterlich grotesk, dieselben Mechanismen immer wieder greifen zu sehen, die damals wie heute nichts unversucht lassen, um die konservative Agenda der Waffenlobby zu schützen. Während ich das hier schreibe, ist der sonst für seinen Aktionismus bekannte US-Präsident Trump gerade dabei, Gebete zu schicken und den Angehörigen plakative Beileidsbekundungen auszusprechen, in seiner Rede vermeidet er tunlichst das Wort “Waffe”.
Dabei gäbe es viel zu besprechen. Das Waffengesetz, natürlich. Aber auch, dass Amokläufer an Schulen meistens Bully-Opfer sind, was die Sache nicht entschuldigen soll, aber eine echte Antwort bieten kann. Aber dann sieht man nochmal Michael Moore, wie er sich in der Bank eine kostenlose Knarre besorgt und einem die augenreibende Abstrusität der “Waffenfreizügigkeit” vorführt, die damals wie heute zur Normalität gehört und dabei zur Verantwortung gezogen werden müsste, wenn ein bereits psychisch auffällig gewordener 19-Jähriger mit einer legal erworbenen automatischen Waffe in seine alte Schule rennen kann und 17 Menschen in einen elenden Tod reißt.
Also triumphiert die ewige Angst, sich der Selbstverantwortung zu stellen, die nicht nur tief im “American Spirit” verwurzelt ist, sich mit heuchlerischer Ignoranz und verleumderischer Verleugnung paart und immer wieder das gleiche Miststück auspresst. Auch hierzulande kommt es selten vor, dass ein politisch ausnutzbares Gewaltverbrechen nicht instrumentalisiert wird. Deutsch-Rechts-Online mühte sich auch beim Florida Amoklauf ab, einen Antifa-Hintergrund des Täters ausfindig zu machen, weil die muslimische Schablone nicht passen wollte (und weil Marilyn Manson dann doch etwas weit hergeholt schien). Wer will schon “Antworten” kriegen, wenn man sie vermeintlich längst hat?
Vor mittlerweile 15 Jahren wurde Michael Moore’s dokumentarische Hinterfragung von Waffenkultur, Waffengeschäft und Waffensozialisierung der amerikanischen Gesellschaft mit einem Oscar prämiert und als mutige Thematisierung gefeiert. Seine Oscar-Rede war ebenfalls mutig, für die wurde er dann allerdings ausgebuht und nachfolgend sogar mehrfach tätlich angegriffen, weil die Wahrheit nur wenige verkraften wollten, weil ein “Präventivschlag” mit Waffengewalt eben als vernünftig galt.
Michael Moore resümierte “Wir leben in fiktiven Zeiten.” Und auch das ist immer noch unfassbar wahr.